Schauen Sie sich die Fassade dieses Hauses an, Conrad-Gröberstr. 8, hier lebte die Familie PICARD von 1982 bis 1940, als sie in die USA fliehen musste, sie waren Juden. Schauen Sie aus dem Fenster und stellen Sie sich Paul vor: ein Mann, nicht so groß, nicht so klein, nicht so blond, nicht so weiß, heute ist sein Geburtstag.

„Ach Paul“. In diesen Ausruf legte meine Großmutter alles, was sie ihm zu sagen hatte. Manchmal lag Ärger darin, manchmal war er ein Signal, dass er aufhören sollte zu sprechen, manchmal klang es traurig und manchmal verzweifelt.

Da mein Großvater viel las, wollte meine Schwester zusammen mit ihrem damaligen Freund und späteren Ehemann dem Großvater zum Geburtstag eine besondere Freude machen. Mehrere schön gebundene Bände deutscher Literaturklassiker. Mit goldverzierten Einbänden –optisch wunderbar passend zur monumentalen Eichenschrankwand. Der Großvater packte das Geschenk aus mit einem freudigen Lächeln im Gesicht. Im Bruchteil einer Sekunde wandelte sich das Gesicht und die Stimmung. Er schleuderte die Bücher in eine Ecke und zischte etwas Wütendes, abgrundtief von Ekel Erfülltes. Sein Gesicht war nur noch Hass und Abscheu. Und er beschimpfte meine Schwester und den Freund. Die Geburtstagsgesellschaft erstarrte zunächst in Schweigen. Und es dauerte, bis wir verstanden. Ein deutscher Klassiker durfte nicht sein, Heinrich Heine. Er war Jude.

Ich war damals vielleicht 16 oder 17 Jahre alt. Und fassungslos, weil mir jetzt erst wirklich bewusst wurde, dass mein Großvater ein fanatischer Nazi war.

„Ach Paul“. Diesmal brauchte es eine gesamte Geburtstagsgesellschaft, um die Wogen zu glätten. Denn die unbedarften Enkel wussten ja nicht, dass Heinrich Heine ein Jude war, der Deutschland lächerlich machte. Wenn ich das schreibe wird mir übel.

Und nach und nach verstand ich. Da waren diese Diskussionen zwischen meinem Großvater und seinem Schwager. Adolf Hitler hat uns durch den Bau von Autobahnen Arbeit gebracht. Es ist nicht richtig zu behaupten, dass er ein durch und durch schlechter Mensch war.

Ach Paul.